Wer seinen Job liebt, arbeitet motiviert, ist innovativ und kreativ. Die Digitalisierung schafft neue Arbeitswelten, von denen die Mitarbeiter, aber auch die Unternehmen profitieren.
Gibt es im belgischen Sozialministerium bereits den Arbeitsplatz der Zukunft? Dient hier eine staatliche Behörde schon als Vorbild für Unternehmen aus der freien Wirtschaft – das hört sich eher nach einer Pointe für einen Witz an als nach Wirklichkeit. Ein Blick ins benachbarte Belgien offenbart jedoch das Gegenteil. Der Präsident des belgischen Sozialministeriums Frank Van Massenhove reformierte seine Behörde grundlegend. Sein Motto dabei: „Digital is the new normal“ — „Digital ist der neue Normalzustand“. Sein Ziel war es, die Arbeitsbedingungen den veränderten kulturellen und technologischen Gegebenheiten unserer Zeit anzupassen.
Unternehmen müssen attraktiver werden
Allein die demografische Entwicklung gab Anlass für ein radikales Umdenken. Schon jetzt verlassen mehr Menschen altersbedingt den Arbeitsmarkt als junge Menschen nachkommen. Das führt zu einer verkehrten Situation: Während sich früher das Unternehmen den Besten unter den Bewerbern aussuchte, sucht sich die Generation Y heute das beste Unternehmen aus. Deswegen müssen Unternehmen als Arbeitgeber attraktiv werden – besonders der Arbeitsplatz inkl. der Möglichkeit Homeoffice machen zu dürfen. Dies gelingt, indem sie Arbeitsbedingungen schaffen, die den Bedürfnissen und Werten der Menschen entsprechen.
Evolution des Schreibtisches (Arbeitsplatz neu denken)
Wir nutzen privat jeden Tag die modernsten Kommunikationstechnologien. Unseren Arbeitsalltag gestalten wir jedoch, als würden wir noch im 19. Jahrhundert leben. Für die meisten Tätigkeiten ist die Anwesenheit in einem Unternehmen nicht zwingend nötig. Die Digitalisierung ermöglicht es, Dokumente auf allen möglichen Geräten, zu jeder Tageszeit und an jedem beliebigen Ort zu bearbeiten. Videokonferenzen, Chats und Gespräche befreien ebenfalls von einem festen Ort. Die Evolution des Schreibtisches führt vor Augen, wie mit jedem Jahr die Unabhängigkeit von einem festen Arbeitsplatz größer wird.
Die Technik befreit die Menschen vom Zwang, immer am gleichen Ort arbeiten zu müssen. Neue Orte fördern zudem Inspiration und Kreativität. Um die so gewonnene Freiheit zu nutzen, braucht es das Vertrauen auf der Seite der Arbeitgeber. Der Fall des belgischen Sozialministeriums zeigt: Die Produktivität der Behörde steigerte sich enorm, als die Mitarbeiter selbst entscheiden durften, wann und wo sie arbeiten. Dieses Umdenken hat auch die Umgestaltung der verbleibenden Räume im Unternehmen zur Folge. Diese sind immer noch wichtig und übernehmen neue Funktionen – als Orte der Begegnung und zum persönlichen Austausch.
Das Ende strenger Hierarchien
Der Ursprung der strengen hierarchischen Strukturen im Arbeitsleben findet sich in der Militärgeschichte. Die ersten Gegenstände, die nach den Maßstäben der modernen maschinellen Massenfertigung hergestellt wurden, waren Handfeuerwaffen. Die ersten modernen Arbeiter waren Soldaten. Erst nachdem diese Produktionsmethoden in den Militärarsenalen erprobt wurden, übernahm sie John Ford und nutzte sie für die Produktion von Konsumgütern. Die Sprache der Soldaten wurde zur Sprache der modernen Arbeitswelt und basierte auf Befehlen, die von oben nach unten gegeben werden.
Der indische Leadership-Guru Vineet Nayar weist darauf hin, wie unzeitgemäß diese Form der Kommunikation und Arbeitsorganisation ist. Die Kommunikation innerhalb von Familien, in Schulen und Universitäten sowie in beruflichen Netzwerken geht seit langem von einem partnerschaftlichen Verhältnis aus. Nayar fordert eine Neudefinition des Managements und stellt dabei den Mitarbeiter ins Zentrum seiner Überlegungen. Die Abschaffung strenger Hierarchien habe den Vorteil, dass innovative Impulse und Wissenstransfer in alle Richtungen stattfinden können. Jeder profitiert von jedem. Der Wegfall von starren Befehlsstrukturen führt jedoch nicht ins Chaos, sondern hat eine andere Form der Organisation zur Folge.
Selbstorganisierende Netzwerke
Ein neues Verständnis von Arbeit sieht die Mitarbeiter eines Unternehmens als Teilhaber oder Teile eines Netzwerks. Netzwerke bestehen aus Menschen mit sehr unterschiedlichen, individuellen Fähigkeiten und Stärken. Während diese durch starre Routinen und bloße Arbeitsanweisungen ignoriert werden, bietet ein Netzwerk Raum zur Entfaltung. Bill Gore, der Gründer der Firma Gore Tex, baute sein Unternehmen auf diesen Prinzipien auf. Er ermunterte seine Mitarbeiter, all ihre Ideen zu verwirklichen. Inzwischen produziert die Firma neben den bekannten Kleidungsstücken Produkte für die Raumfahrt und Gitarrensaiten. Innovative Ideen können nicht vom Management befohlen und ihre erfolgreiche Durchführung kontrolliert werden. Bei Gore Tex wählen die Mitarbeiter selbst einzelne Kollegen aus, die ihrer Meinung nach für die Durchführung nötig sind und bestimmen eine Person, die das Team führt. Je weniger ein Netzwerk von außen kontrolliert oder durch Hierarchien dominiert wird, desto mehr Freiraum zur Verwirklichung bleibt dem Einzelnen.
Zufriedenheit als Motivation
Wenn Mitarbeiter über Wahlfreiheit verfügen, wo und wann sie arbeiten, steigt ihre Produktivität. Menschen haben unterschiedliche Biorhythmen mit Hoch- und Tiefphasen. Neben dem Morgenmuffel gibt es ausgesprochene Morgenmenschen und Nachteulen. Wenn individuelle Leistungsphasen intensiv genutzt werden können, stellen sich automatisch Erfolgserlebnisse ein. Diese steigern wiederum das Selbstvertrauen und die Motivation. Wer nicht zur Anwesenheit gezwungen ist, kann zudem seine persönliche Work-Life-Balance leichter herstellen. Auch tagsüber private Termine wahrzunehmen, für die Familie da zu sein und produktiv zu arbeiten schließt sich nicht per se aus. Die Befreiung von Zwängen muss umfassend sein. Ein Arbeitsumfeld, das von Verboten geprägt ist, engt die Mitarbeiter ein und demotiviert. In vielen Unternehmen ist beispielsweise die Nutzung von sozialen Netzwerken untersagt. Gleichzeitig steigt der Bedarf an neuen Berufen wie dem Social-Media-Manager. Widersprüchliche Situationen wie diese wird Bewerber in Zukunft abschrecken. In einer Unternehmenskultur, die hingegen die „Bring Your Own Device“-Mentalität verinnerlicht hat, haben solche Verbote keinen Platz. Mitarbeiter, die frei über ihren Tagesablauf bestimmen können, sind hoch motiviert, weil sie über das wertvollste Gut verfügen: Zeit.
Vorteile der Arbeitwelt 4.0
Die Transformation der Arbeitsbedingungen ist unumgänglich, wenn Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen. Die Arbeitswelt 4.0, die alle Vorteile aus den digitalen Technologien und den sozialen Medien nutzt, entfesselt das innovative und kreative Potential der Menschen. Dazu ist Vertrauen nötig statt Kontrolle. Unternehmen, die den Wertekanon ihrer Mitarbeiter verkörpern, werden als Arbeitgeber für die Generation Y interessant. Der Arbeitsplatz von morgen hat keinen klar definierten Ort mehr. Vielmehr passen sich die Arbeitsbedingungen den Bedingungen des modernen Lebens und den Bedürfnissen der Menschen an. Denn mehr Freiheit für die Mitarbeiter auf der einen Seite bringt mehr Zufriedenheit und Motivation auf der anderen Seite mit sich.
Autor
Ibrahim Evsan
Ibrahim Evsan ist Gründer, Author und Blogger in Berlin. Er ist auch der Herausgeber dieses Blogs.
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